Die letzte Bauerngeneration: Solarpanels auf dem Dach statt Schweine im Stall

Minden- Dankersen . Bauern lebten hier in Dankersen schon immer. Väter gaben ihre Höfe an die Söhne weiter und die an ihre Söhne, Generation um Generation. 1729 – das ist die älteste Erwähnung des Hofs von Heinrich Pook. Aus der Zeit davor gibt es keine Kirchenbücher, aber für den Landwirt ist keine Frage, dass hier auch schon früher Vieh gezüchtet und Äcker bewirtschaftet wurden. Als sein Freund und Nachbar gegenüber, Friedrich Rolfsmeier (64), erzählt, er sei auf dem Hof geboren, und die Hofinschrift von 1895 erwähnt, frozzelt Pook (63), das sei ja „gerade mal frisch zugewandert“.

Sie sind zusammen aufgewachsen, die Geschichten ihrer Familien und Höfe sind ganz ähnlich. Beide haben drei Kinder, die am Ende andere Berufe ergriffen haben und die Landwirtschaft nicht weiterführen. Immer wieder haben sie sich mit ihren Betrieben auf geänderte Bedingungen eingestellt. Rolfsmeier ist ist schon lange Nebenerwerbslandwirt. Und jetzt? Jetzt sitzt Rolfsmeier auf seiner Terrasse und sagt: „Wir sind die letzte bewirtschaftete Generation“.

Solarpanels auf dem Dach statt Schweine im Stall

Er hat sein Leben lang andere Wege gesucht – sich darauf eingestellt, als Viehzucht nicht mehr auskömmlich war, weil alles teuer hätte umgebaut werden müssen. Er selbst erzählt das sachlich, es ist seine Frau Barbara (59), die zeigt, dass das viel mehr als eine geschäftliche Entscheidung war: „Mein Mann ist Landwirt mit Leib und Seele. Es ist ihm unwahrscheinlich schwer gefallen, als wir die Viehhaltung aufgeben mussten.“

Er hat seinen Frieden damit geschlossen, als klar wurde, dass keines der Kinder und wohl auch keines der Enkel mal den Hof übernehmen will. Dass jetzt die drei Kinder in der Nähe wohnen und die Enkel mit Oma und Opa gleich nebenan aufwachsen, macht Barbara Rolfsmeier glücklich – auch das wurde erst möglich, als sich die Familie von einem Acker getrennt hat. „Eigentlich verkauft ein Landwirt seinen Grund und Boden nicht“, sagt sie; er deutet nach nebenan auf das noch unbebaute Grundstück: „Früher habe ich hier auf der Terrasse gesessen und auf meinen Weizen geschaut.“

Friedrich Rolfsmeier und Heinrich Pook Foto: Monika Jäger

Vor zwölf Jahren hat er die Schweine im Stall durch Solarpanels auf dem Dach ersetzt. „Vom Landwirt zum Energiewirt, das ist der nächste Schritt“, sagt er – das sei seither „immer eine verlässliche Geldquelle“ gewesen. „Vor 30 Jahren waren kleinere Bestände wie unsere noch lebensfähig. Bei Heinrich ist das anders, der ist noch groß genug.“

Frühere Ernte wegen der Energieknappheit

Sein Freund und Nachbar ist aktiver Landwirt. Schweine- und Bullenmast, 80 Hektar Acker, auf dem er „alles, was der liebe Herrgott wachsen lässt“, anbaut. Pook ist ein Mensch, der globale Entwicklungen genauso verfolgt wie Verbandspolitik und kommunale Entscheidungen, einer, der sich seinen eigenen Kopf macht. Billige Lebensmittel, deren Produktionsbedingungen keinen interessieren, während die Bauern vor Ort einen Produktionszweig nach dem anderen kappen, weil ihre Betriebe für die Auflagen zu klein und daher nicht wirtschaftlich sind: Es sind Zusammenhänge wie diese, die Pook aufzeigt. Dass ihm die Bauernverbände manchmal zu weit gehen mit Forderungen, sagt er auch, und auch Sätze wie „wenn ich sagen sollte, dass in diesem Jahr die Landwirtschaft nicht auskömmlich ist, müsste ich lügen.“ Aber das bleibe nicht so: Gerade hat ihm beispielsweise der Zuckerrübenhersteller mitgeteilt, dass diese Feldfrüchte schon ab 8. September gerodet werden – „er fürchtet, nach Weihnachten kein Gas mehr zu bekommen.“

Schon seit Jahren nutzen Friedrich und Barbara Rolfsmeier (2. u.3.v.l.) Sonnenergie vom Dach. Sie würden wie Nachbar Heinrich Pook (r.) auch Ackerflächen für Photovoltaik an Thomas Kompa (l.) verpachten. Foto: Monika Jäger

Dass nun Thomas Kompa, Geschäftsführer der Firma Enerkraft, auf 30 Hektar Fläche in Dankersen eine Solaranlage bauen will, nennt Rolfsmeier einen „Wink des Schicksals“. Er denkt an die Zukunft seiner Kinder – denen möchte er etwas anderes hinterlassen als einen Hof, der nicht viel mehr zu bieten hat als die Familiengeschichte. Solaranlagen, das sei etwas, um die Zukunft zu sichern – und zwar nicht in erster Linie finanziell, sondern vor allem für die Zukunft der Enkel, als Quelle für nachhaltige Energie. Und sein Land würde er ja weiter pflegen – zum Beispiel, indem er die mindestens zweimal jährlich anfallende Mahd übernimmt.

Geld spielt auch eine Rolle: Pook und Rolfsmeier haben ausgerechnet, dass die Nutzung der Flächen mit Solarpanels auf Dauer mehr Einnahmen bringt als die landwirtschaftliche Nutzung. Insgesamt sind sechs Bauern beteiligt. Denn Kompa will viele kleine Teilstücke nutzen, das Land ist durchschnitten von Hochspannungsleitung, Bahntrasse, Bundesstraße, Kiesabgrabungen – und irgendwann kam dann noch der Hafen dazu. Unregelmäßige Formen zwingen zum Säen und Pflügen im Schlingerkurs – das kostet Zeit und braucht auch mehr Samen und Dünger, weil wegen der Breite der Maschinen an manchen Stellen Material doppelt ausgebracht wird. Wenn überhaupt – viele Lohnunternehmen haben so breite Mähdrescher, dass sie auf kleinen Flächen mit krummen Grenzen nicht eingesetzt werden können.

Flächen, die nur schwerwirtschaftlich zu nutzen sind

Auch mehr Anfahrtszeit ist nötig, die bisweilen von parkenden Lkw verlängert wird – Fahrer auf dem Weg zum und vom Hafen Berenbusch machen hier gern mal Pause, denn alle Wege sind geteert. Und wenn da so ein Lkw steht, sei dann erstmal kein Durchkommen. „Das ist ein zerrissenes Gebiet mit ganz unterschiedlichen Nutzungen“, sagt Rolfsmeier, „in Dankersen haben wir überhaupt keine größeren zusammenhängenden Felder mehr.“

Die Politik habe die Gemarkungen Dankersen und Päpinghausen gezielt zum Industriegebiet entwickelt – im Nachhinein müsse sich da jetzt auch keiner mehr Gedanken um das Landschaftsbild machen. „Die Belange der Landwirtschaft spielen hier schon seit 40 Jahren keine Rolle mehr.“ Haben sich die Landwirte nicht gegen das Zerschneiden gewehrt? Rolfsmeier zuckt mit den Schultern: „Hier wurde immer wieder massiv in die Natur eingegriffen. Aber halten Sie mal eine Bundesstraße auf. Die B 482 hat hier vieles verändert.“

Aus Sicht der beiden Bauern ist das Gebiet nicht wirtschaftlich für den Anbau von Nahrung zu brauchen. Überhaupt würden doch nur grob 25 Prozent der deutschen Ackerfläche dafür verwendet, sagt Pook, auf 50 Prozent werde Tierfutter angebaut, auf 25 Prozent Mais und anderes für Biogas. Biogas sei zudem vom Flächenverbrauch her deutlich weniger effektiv – das, was 30 Hektar Photovoltaik schaffen, brauche 100 Hektar Ackerland für stromerzeugende Biogasanlagen. Auch in Minden gibt es Flächen, die für Biogas genutzt werden – Anlagen und Felder sind etwa in Aminghausen und Hahlen.

Dass in der Politik gefragt wird, ob das Landschaftsbild durch die Batterien von Solarpanels geschädigt werde, können die Dankerser nicht nachvollziehen. „Wer schön spazieren gehen will, fährt ein Stückchen weiter“, sagt Barbara Rolfsmeier. Da kann das Auge schweifen, ohne auf Bahnlinien oder Hochspannungsmasten zu blicken. „Oder er geht am Kanal lang „und nicht im Autolärm unter der B 482″.

„Felder werden nur eine Weile anders genutzt“

Wer glaubt, hier sei eine Idylle, der solle einfach mal herkommen, empfiehlt Friedrich Rolfsmeier. Unternehmer Kompa hat mehrfach betont, dass er Hecken rund um die Flächen pflanzen könne, sodass die Anlage nicht sichtbar ist. „Es ist ein Eingriff in die Landschaft“, sagt Pook, aber es werde nichts versiegelt und alles sei leicht rückbaubar. „Die Felder sind doch nicht auf ewig verloren, sie werden nur eine Zeit lang anders genutzt.“

Er hat wenig Geduld, lange zu warten. „Wir werden ohne Veränderungen die Energiewende nicht schaffen. Die ist eine Chance, ein kleiner Schritt.“ Sein Freund und Nachbar nickt: „Ein Zehntel Mindens könnte mit der dort erzeugten Energie theoretisch versorgt werden. Wir müssen doch so schnell es geht möglichst autark werden.“

Ende September befasst sich der Naturschutzbeirat des Kreises, ein Gremium aus 16 Ehrenamtlichen, mit dem Thema – das Genehmigungsverfahren geht mit vielen behördlichen und politischen Schritten voran. Erst solle die Stadt ihre eigenen Dachflächen mit PV-Anlagen versehen, bevor so ein großes Stück Land genutzt wird – auch das ist eines der aktuellen Argumente aus der Kommunalpolitik.

„Aber warum nicht beides?“, fragt Pook. „Wir leben in einer Zeitenwende, was die Energie angeht. Wie könnten hier vor Ort etwas tun. Und das sogar schneller, als es klappen dürfte, alle Stadt-Gebäude mit Panels zu versehen.“

Die beiden Dankerser Freunde können nur abwarten. Wenn aus dem Projekt nichts wird, dann wird eben irgendwie anders verpachtet. In drei Jahren will auch Pook aufhören. Rolfsmeier hegt eine klitzekleine Hoffnung. Eins der Enkelkinder verbringt viel Zeit mit Opa und Oma auf dem Hof. „Vielleicht“, überlegt er, aber der Satz hat kein Ende. Er schaut auf das leere Nachbargrundstück – da wo früher Weizen wuchs. Und schweigt.

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Text/Fotos Mindener Tageblatt Monika Jäger